Hartz-IV-Empfänger: Anwalt finden immer schwieriger?

Es versteht sich von selbst: Wer vor Gericht zieht, braucht einen guten, motivierten Anwalt, und dieser hat Anspruch auf ein Honorar. Anwälte, die Empfänger von Hartz IV vor Gericht vertreten, müssen jedoch immer häufiger auf ihres verzichten. Der Grund: Gewinnt der Arbeitslose den Prozess gegen das Jobcenter, muss dieses ihm zwar die Kosten erstatten. Hat der Arbeitslose jedoch Schulden beim Jobcenter, verrechnen die Jobcenter häufig die beiden Summen. Der Anwalt geht dann leer aus. Das ist nicht nur unrechtmäßig – es kann für Arbeitslose langfristig verheerende Folgen haben.

Anwalt zahlt für die Schulden seines Mandanten.

 

Eine Aufrechnung der Schulden des Mandanten mit dem Honorar seines Anwalts: Werden hier Äpfel und Birnen miteinander verrechnet? Ja, sagt Rechtsanwalt Martin Schafhausen von der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht beim Deutschen Anwaltverein. „Hier werden oft Forderungen von zwei Parteien verrechnet, die nichts miteinander zu tun haben.“

Was klingt wie ein Fehler im System, ist in Wahrheit beabsichtigt: Die Jobcenter wurden explizit angewiesen zu prüfen, ob ein Hartz-IV-Empfänger Schulden hat, bevor Anwaltshonorare ausgezahlt werden.

 

Betroffen sind in der Regel Streitigkeiten zwischen dem Arbeitslosen und dem Jobcenter über zu geringe Leistungen oder möglicherweise fehlerhafte Kürzungen von Leistungen. Und ironischerweise tritt die unrechtmäßige Verrechnung durch die Jobcenter nur dann auf, wenn der Kläger und sein Anwalt den Prozess gewinnen oder einen Teilerfolg erzielen. Als Teilerfolg zählt zum Beispiel, wenn ein Vergleich geschlossen wird. „Unterliegt der Kläger vor Gericht, trägt die Staatskasse die Kosten, zumindest dann, wenn der Mandant Prozesskostenhilfe bekommt. Der Anwalt erhält dann sein Honorar“, sagt DAV-Vorstandsmitglied Schafhausen.

 

Arbeitslose, die vor Gericht gehen wollen um zum Beispiel gegen einen möglichweise fehlerhaften Bescheid vom Jobcenter zu klagen, haben in bestimmten Fällen Anspruch auf Prozesskostenhilfe. Diese finanzielle Unterstützung vom Staat deckt auch das Honorar eines Anwalts ab. Gleiches gilt, wenn der Rechtsanwalt etwa in einem Widerspruchsverfahren tätig geworden ist, in dem seinem Mandanten Beratungshilfe bewilligt wurde.

 

LSG Rheinland-Pfalz: Aufrechnung bei Kläger ohne PKH unrechtmäßig

Was bedeutet das für die Zahlung des Anwaltshonorars? Gewinnt der Mandant und hat er weder PKH noch Beratungshilfe erhalten, kommt es zunächst darauf an, ob er das Honorar das Anwalts bereits aus eigener Tasche gezahlt hat oder nicht. Hat der Kläger den Anwalt noch nicht bezahlt, muss das Jobcenter ihn von den Kosten des Rechtsanwalts freistellen.

 

Das bedeutet: Das Jobcenter muss die Zahlungsverpflichtung, die der Kläger gegenüber dem Anwalt hat, übernehmen. Der Arbeitslose ist dann nicht mehr derjenige, der dem Anwalt das Honorar schuldet, sondern das Jobcenter. Hat der Hartz-IV-Empfänger Schulden beim Jobcenter, rechnen manche Jobcenter die Forderung, die sie dem Arbeitslosen gegenüber haben, mit der Forderung auf, die der Anwalt des Arbeitslosen dem Jobcenter gegenüber hat. Der Sozialrechtsanwalt Schafhausen kritisiert: „Der Anwalt wird dafür herangezogen, die Schulden seines Mandanten zu begleichen. Dass das nicht rechtens ist, liegt auf der Hand.“

Das hat nun auch ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pflanz (AZ: L 6 AS 188/13) bestätigt.

 

Demnach gilt: Der Anspruch des Mandanten auf Freistellung von den Kosten und die Forderung des Jobcenter gegenüber dem Leistungsempfänger dürfen nicht miteinander verrechnet werden, weil es unterschiedliche Forderungen sind.

 

Die Sachlage ist eine andere, wenn der Kläger das Honorar des Anwalts zunächst aus eigener Tasche zahlt. Er hat dann gegenüber dem Jobcenter einen Anspruch auf Kostenerstattung. In diesem Fall schuldet das Jobcenter dem Arbeitslosen Geld, während der Arbeitslose wiederum dem Jobcenter Geld schuldet. Nach Auffassung LSG Rheinland-Pfalz soll es dann unter Umständen rechtens sein, beide Forderungen zu verrechnen.

 

Kläger bekommt PKH oder Beratungshilfe: Aufrechnung ebenfalls nicht rechtens

 

Anders sieht der Fall aus, wenn der Leistungsempfänger PKH oder Beratungshilfe bekommt. Gewinnen der Kläger und sein Rechtsanwalt den Prozess, muss der Rechtsanwalt die Kosten im eigenen Namen geltend machen. In den gesetzlichen Regelungen ist dies eindeutig als Forderung des Anwalts gegenüber dem Jobcenter festgelegt. Das heißt, dass das Jobcenter dem Rechtsanwalt sein Honorar zahlen muss.

 

Dennoch werden auch hier unterschiedliche Forderungen über einen Kamm geschert, wenn das Jobcenter die Schulden des Hartz-IV-Empfängers mit dem Anwaltshonorar verrechnet. Denn das Jobcenter hat ja nur einen Erstattungsanspruch gegen den Leistungsempfänger – nämlich auf Rückzahlung seiner Schulden –, nicht gegen den Anwalt. Deshalb darf nicht aufgerechnet werden. In einer weiteren Entscheidung vom 6.5.2015 hat das LSG Rheinland-Pfalz auch das entschieden (Az: L 6 AS 34/15).

 

Urteile des LSG Rheinland-Pfalz nur ein erster Schritt

Die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz betreffen zwar nur Teilaspekte des Problems. „Sie zeigen aber grundsätzlich in die richtige Richtung“, sagt Martin Schafhausen. Er geht jedoch nicht davon aus, dass die Jobcenter ihr Verhalten anpassen. „Damit sich wirklich etwas ändert, müsste die Bundesagentur für Arbeit ihre Weisung zur Aufrechnung ändern. Im schlimmsten Fall ist eine Gesetzesänderung notwendig“, erklärt der Experte.

 

Praxis der Jobcenter bringt Anwälte in Existenznot

Für die Anwälte hat das Verhalten der Jobcenter sehr negative Folgen. Wer als Anwalt einen Empfänger von Hartz IV vor Gericht vertritt, muss teilweise davon ausgehen, dass er kein Honorar erhält. Martin Schafhausen warnt: „Anwaltskanzleien, die sich auf Sozialrecht und insbesondere die rechtlichen Aspekte von Hartz IV spezialisiert haben, können durch diese ´Verrechnungspraxis` in Existenznot geraten.“

 

Dabei sind die Honorare für die Vertretung eines Hartz IV-Empfängers bereits niedriger als bei herkömmlichen Mandanten. „Müssen die Kollegen davon ausgehen, dass sie gar kein Honorar erhalten, werden viele die Vertretung von Arbeitslosen ablehnen müssen.“

 

Wo kein Kläger mit Anwalt, da kein Richter

Das wirkt sich langfristig auch für Hartz-IV-Empfänger negativ aus. Wer gegen das Jobcenter vor Gericht ziehen und dafür PKH beantragen will, wird es immer schwerer haben einen Anwalt zu finden, der ihn vertritt. Es kommt teilweise bereits vor, dass Jobcenter versuchen einzelne, besonders „lästige“ Anwälte mit der Verrechnung von Honoraren mit Schulden der Mandanten mürbe zu machen.

 

Willkür der Jobcenter Tür und Tor geöffnet?

Das ist nicht nur ein großes Problem für die direkt Betroffenen. Noch problematisch ist, dass langfristig auch die Anzahl von Klagen gegen fehlerhafte Festsetzung von Leistungen des Jobcenters abnehmen wird. Denn wenn ein Empfänger von Hartz IV nun keinen oder keinen spezialisierten Anwalt findet, wird es für ihn schwierig, erfolgreich gegen die Jobcenter zu klagen. Es sinkt also die Wahrscheinlichkeit, dass ein Jobcenter zum Beispiel für unrechtmäßige Kürzungen von Leistungen zur Rechenschaft gezogen wird.

 

DAV: „Verrechnungspraxis“ sollte dringend eingestellt werden

Zwar lassen nicht alle Jobcenter Anwälte bei der Vertretung von Arbeitslosen im Regen stehen – ein Großteil zahlt die Honorare aus. Dennoch: Auch wenn es nur einen Teil der Fälle betrifft, ist das Vergehen unrechtmäßig. Insbesondere nach dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz muss es dringend eingestellt werden, fordert der DAV. „Es ist Zeit, dass die Jobcenter sich den Anwälten gegenüber fair verhalten“, sagt Anwalt Schafhausen. „Ich appelliere an die Jobcenter, jedem Anwalt, der einen Hartz-IV-Empfänger vertritt, sein Honorar direkt auszuzahlen – und es nicht mit Schulden zu verrechnen, für die der Anwalt nicht verantwortlich ist.“

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